Kyu-Prüfung – oder ein Tagebuchauszug einer Prüfungskomitee-Padawan

2025-05-21_Kyu-Prüfung_quadrat_klein

Mittwoch, 21. Mai 2025, kurz nach 19 Uhr im TomoSei Dojo.

Anspannung liegt in der Luft und nervöses Schweigen. Auf der einen Seite durch unsere Prüflinge, die gleich ihre Prüfung zum 5. bzw. 4. Kyu ablegen, also ihre erste, bzw. zweite Aikido-Prüfung. Auf der anderen Seite durch uns, ihre Prüfungskommission – mindestens genauso nervös. Warum, eigentlich, frage ich mich, denn schließlich werde nicht ich geprüft?! Ich gehe im Kopf die Liste möglicher Ursachen durch: Befürchte ich, dass heute jemand durchfällt? Nicht wirklich, alle Anwesenden haben die letzten Wochen und Monate viel und sehr engagiert geübt. Habe ich Sorge, dass wir versäumt haben ihnen etwas wichtiges beizubringen oder heute auffällt, dass ich selbst die ein oder andere Technik gar nicht gut genug beherrsche, um sie sauber weitergeben zu können? Schon eher… Immerhin sind Susanne, Jana und ich erst seit Anfang des Jahres Lehrerinnen in der neu eingerichteten Kyu-Unterrichtsstunde am Mittwoch und dies ist die erste Prüfung, bei der wir auf der Prüfer:innen-Seite der Beteiligten sitzen. Zum Glück ist da auch noch Peter, unser Dojo-Cho und heute auch Prüfungsvorsitzender – und er ist wie immer die Ruhe selbst und unser Fels in der Brandung.

Also atme ich tief durch, besinne mich darauf, dass wir hier im geschützten Raum und ganz unter uns sind, und Peter beginnt uns ruhig und sicher durch die Prüfung zu leiten.

Er weist den einzelnen Prüflingen ihre(n) jeweilige(n) Prüfungspartner(in) und ihren jeweiligen Prüfungsbereich auf der Matte zu und mit der Begrüßungszeremonie der Verbeugungen beginnt die Prüfung. Zuerst wird zum 5.Kyu geprüft, anschließend zum 4.Kyu. Peter sagt einen Angriff und eine Aikidotechnik an, unsere Prüflinge führen sie vor und schon fährt Peter mit seiner Abfrage fort. Bis zu 3 Paare zeigen gleichzeitig die abgefragten Techniken, wobei jeweils eine(r) der beiden („Uke“) den angesagten Angriff zeigt und das Gegenüber („Nage“) die geforderte Aikidotechnik zur Abwehr präsentiert. Unter Beobachtung stehen dabei jeweils beide – was es auch für uns Prüfer:innen zu einer echten Herausforderung macht, denn um 6 Personen gleichzeitig im Blick zu behalten, könnte ich gut noch ein paar Augen mehr gebrauchen.

Klar sehen wir auch die unterschiedlichsten Formen von Nervosität: Hier grimmige Anspannung, dort ein panischer Blick, wenn die genannte Technik nicht gleich die passende Erkennungssynapse aktiviert und anderswo Kurzzeit-Starre, gefolgt von etwas mechanischen Bewegungen – nicht zuletzt auch im Prüfungskomitee. Schließlich sind wir als Prüfer:innen hier nicht ohne Grund und zugleich zu 75% ebenfalls neu in unserer Rolle.

Wir notieren uns, was uns bei der Darbietung besonders auffällt: Was läuft besonders gut, wo besteht noch Übungsbedarf. Sehe ich aus dem Augenwinkel wirklich eine Verwechslung von Kata-Dori und Katate-Dori? Wohl nur eine optische Täuschung, beim zweiten Mal ist es schließlich fehlerfrei. Vielleicht hatte auch der Blick zum Nachbarpaar geholfen, bei dem meine Brust gerade vor stolz schwillt, als ich eine wunderschön ausgeführte Ura-Form erblicke: die Fußarbeit sitzt, ein Traum! Dafür trägt mir die nächste, fast synchrone Technikausführung unserer Schützlingspaare einen strengen Seitenblick unseres Dojo-Chos ein, denn die einheitlich nicht wirklich falsche, nur eher ungünstige Ausführungsvariante lässt eindeutig darauf schließen, dass wir Lehrerinnen da wohl etwas versäumt haben. Ups.

Ob nun coole Souveränität oder gut antrainiertes Muskelgedächtnis: Unsere Prüflinge liefern echt ab! Waren es nur zwei Minuten oder eine halbe Ewigkeit – ich weiß es nicht genau, es muss irgendwas dazwischen sein als schließlich alle Prüflinge sowohl die Techniken, als auch ihr Können als Angreifende gezeigt haben. Mit den abschließenden Verbeugungen verabschieden wir sie fürs erste aus der Prüfung und ziehen uns zu einer kleinen Besprechung im Prüfungskomitee zurück. Wir tauschen uns zu unseren Beobachtungen aus und bewerten gemeinsam die gezeigten Leistungen. Wonach wir urteilen? Ganz einfach: wir nehmen die Klarheit der technischen Aspekte der gezeigten Angriffs- bzw. Technikform (wie z.B. die Fußarbeit), addieren den hergestellten Kontakt und den Fluss, subtrahieren anschließend die Nervositätsabweichungen sowie den Einfluss der Lehrkraftsversäumnisse und leiten daraus eine zumeist nichtlineare Funktion der jeweiligen Kompetenzentwicklung ab, die wiederum am Matrixfeld des jeweiligen Prüfungsgrades gemessen wird. Oder einfach gesagt: Wir schauen uns die Entwicklung des jeweiligen Prüflings an und bewerten, ob er/sie einen Entwicklungssprung geschafft hat, der dem nächsten Kyu-Grad entspricht.

Bei unseren heutigen Prüflingen sind wir uns alle einig und dies verkündet Peter auch anschließend offiziell: alle haben verdient bestanden!

…und wir Lehrerinnen haben einen neuen Arbeitsauftrag: die Vorbereitung auf die nächste Prüfung zum 4. bzw. 3. Kyu.

Wir gratulieren unseren Kyu-Prüflingen ganz herzlich und voller Stolz zu ihren neuen Kyu-Graden:
5. Kyu: Talli; 4. Kyu: Alberto, Bertha, Modesto, Natalie, Ohad und Sam

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